Beiträge für einen Podcast (13)


Warum lieben wir Schnee? (BB Radio, 2022)



Einige Menschen neigen ja zu Wintergrimm, wenn vor dem Fenster Schneeflocken stöbern. Dennoch lassen uns besonders die ersten Schneefälle nicht kalt. Selbst Wildtiere im Wald sind dann wegen der grellen Helligkeit zunächst scheu, aber wenig später toben bereits die Jungtiere im Schnee. Für uns Menschen besitzt eine Schneelandschaft nicht nur einem schönen Anblick, sondern alles läuft leiser und langsamer in ihr ab. Wir werden automatisch nachsichtiger zueinander und nehmen es gern zur Kenntnis, wenn über den Schnee ein Schlitten davon gleitet.

Warum lächeln wir uns zu? (BB Radio, 2022)



Leben bedeutet oft Mehrkampf. Dennoch lächeln wir uns nicht nur dann zu, wenn wir dringende Flirt-Interessen haben. Mit einem Lächeln signalisieren wir uns nämlich, dass wir vorerst auf Kampf verzichten. Mitunter genügt ein Augenzwinkern, wenn wir darin viel schmeichelhafte Vertraulichkeit zu legen wissen. Lächeln meint Begütigung, sodass wir sogar eine eigene Verzweiflung beschwindeln können. Auch wenn Lächeln rasch abflacht und von unseren Gesichtern verschwindet, um einem besorgten Ausdruck Platz zu machen, suchen wir doch zumindest die Simulation eines freundlichen Miteinanders und wünschen uns, vom Licht eines Lächelns angestrahlt zu werden.

Warum finden wir Ratten nicht niedlich? (BB Radio, 2022)



Wenn man Ratten genauer anschaut, sind dies eigentlich possierliche Tiere mit drolligen Gesichtszügen, großen schönen Augen, Stupsnase, niedlichen Ohren und putzigen Händchen. Dennoch mögen wir sie zumeist nicht, da sie sich als biologische Kulturfolger an die Nähe des Menschen zu gut angepasst haben, durch ihre Nagerzähne Materialschäden verursachen und als Vektoren auch Krankheitserreger wie Salmonellen und Hantaviren übertragen können. Auch unsere Lebensmittelvorräte und Müllcontainer sind für Ratten gefundenes Fressen. Im Gegenzug haben sie für uns als Laborratten aber immer so zuverlässig funktioniert, als hätte man sie mit Silizium gefüttert.

Warum sprechen wir weniger Dialekt als unsere Eltern? (BB Radio, 2022)



Früher waren Dialekte die Ausweise für eine bestimmte Heimat. Man erlebte Fremde, die nicht nur anders klangen, sondern Gespräche hie und da auch mit vollkommen unverständlichen Redewendungen würzten. Heute empfinden jüngere Menschen Dialekte eher als provinziell und beruflich hinderlich. Dennoch bleibt uns der in unserer Herkunftsregion übliche Zungenschlag unbewusst bis ins Alter ein wenig anhänglich, wenngleich gemildert durch Ortswechsel. Spätestens wenn wir die in der Heimat Zurückgebliebenen besuchen, gelingt es uns wieder erstaunlich gut, mit Mundart unsere Rede über jede Stolperschwelle zu heben.

Warum entwickeln wir Telefonphobien? (BB Radio, 2022)



Wir beobachten, dass immer mehr junge Erwachsene sich ängstigen, mit fremden Menschen ein Telefongespräch zu führen. Zum einen möchten sie nicht lästig fallen und jemanden aus der aktuellen Beschäftigung reißen. Ein Telefongespräch erzwingt ja eine sofortige Konversation, wohingegen eine Mail oder Sprachnachricht zurückhaltender und damit höflicher ist, weil das Gegenüber selbst entscheiden kann, zu welchem Zeitpunkt es darauf reagiert. Zum anderen fürchten viele, bei direkten Telefongesprächen ihr Anliegen vielleicht nicht präzise genug zum Ausdruck bringen zu können. Eine Mail oder Sprachnachricht können wir vor dem Abschicken ja korrigieren, wodurch sich einem Missverstehen besser vorbauen lässt.

Warum betrachten wir uns gern auf alten Fotos? (BB Radio, 2022)



Das Alter setzt unserem Erinnern Barrieren. Fotos geben dann lückenhaft Erinnerungen preis. Sehen wir darauf uns selbst, können wir uns der Eitelkeit hingeben, dass wir es offenbar schon damals wert waren, fotografiert zu werden. Es werden dann Gedächtnisinhalte aufgewärmt, die den Schlag unseres Herzens zu schnellerem Takte befeuern. In der Regel erkennen wir mit den Aufnahmen von früher, dass wir bereits in jungen Jahren ganz die oder der Alte waren.

Warum kommt es besonders an Wochenenden zu Streits? (BB Radio, 2022)



Man könnte sagen: Müßiggang ist aller Psychologie Anfang. Wenn wir nämlich keinen beruflichen Terminen nachgehen müssen und uns stattdessen ständig vor Augen haben, beginnen wir mit der Innenschau. Vornehmlich an Wochenenden und freien Tagen haben wir länger geschlafen, sattsam gegessen, der Gummizug unserer Hose hat schlapp gemacht und aus Überdruss wird es Zeit, die Streitaxt auszugraben. Viele Familien sind dann in ihrem Streit schon gut eingespielt.

Warum sind wir durch einzelne Lehrer geprägt? (BB Radio, 2022)



Die Schule gibt zu tun, damit die Jugend nicht müßig liege. Solange uns der Ranzen anhängt und die Eltern uns der Schule zutreiben, ist sie der bestimmende Mittelpunkt des Lebens. Wir sehen uns dort Lehrern gegenüber, die in ihren Fächern mehr wissen als unsere Verwandten. Je nach ihrer Unterrichtsführung plaudern sie entweder weit über unseren Kopf hinweg oder sprechen angenehm leise und unverständlich. Wir sind jedoch durch diejenigen Lehrer beeindruckt, die für ihr Fach brennen und einen Teil dieses Feuers auf uns abstrahlen. Die Prägung erfolgt also durch Energieübertragung und wirkt auch dann noch fort, wenn wir den Schulbesuch bereits endgültig eingestellt haben.

Warum zeigen große Geschwister elterliche Beschützerinstinkte? (BB Radio, 2022)



In einigen Familien werden der Fruchtbarkeit immer neue Zeugnisse abgerungen. Mit steigender Geschwisterzahl bildet sich unter denselben eine Rangordnung, die aber auch bereits bei nur zwei Kindern beobachtbar ist. Ältere Kinder erleben ein neues Baby nämlich zunächst als überraschend anfällig. Später registrieren sie gegenüber ihrem jüngeren Geschwister vor allem einen eigenen Wissensvorsprung. Aus dem wahrgenommenen Stärkeunterschied entsteht das Bedürfnis, Fürsorge auszuüben, um sowohl Schwesterchen und Brüderchen als auch den Eltern eine Freude zu bereiten.

Warum legen wir zunehmend Wert auf unsere Körper? (BB Radio, 2022)



Im Zeitalter der Metaphysik nannte man den Körper früher das "Gefängnis der Seele". Man empfand die seelische und geistige Entwicklung gewissermaßen als ausgebremst durch den Körper. Heute sehen wir eine interessante Umkehrung der Perspektive. Durch die zunehmende Zurschaustellung unserer Körper in sozialen Medien betrachten wir die Seele eher als das Gefängnis des Körpers. Beispielsweise demonstriert das Ringen um gutes Aussehen und gesunde und ethisch vertretbare Ernährung, wie sehr der heutige Körper von der Seele versklavt wird.

Warum belastet uns das Ende unserer Lieblingsserien? (BB Radio, 2022)



Unsere Fantasie ist schwerelos. Gute Serien ziehen uns nicht nur in den Bann interessanter Geschichten, sondern bieten auch Identifikationsprofile. Haben wir nämlich mit einer Figur über viele Folgen mitgelitten, erscheint uns ihr Denken und Handeln vertraut wie bei einem Familienmitglied. Zudem haben wir während des Serienschauens vielleicht öfters Snacks mit aggressiven Kalorienzahlen auf dem Schoß gehabt und uns in runder Form befestigt. Wir verknüpfen Serien dann seelisch mit entspanntem Lebensgenuss, was das Loslassen erschwert.

Warum geben wir gern Geld aus? (BB Radio, 2022)



Waren wir als Kinder und Jugendliche geldlich noch knapp gestellt, neigen wir als Erwachsene zur Kompensation durch Konsum. Das Geldausgeben verschafft uns ein vorübergehendes Glücksgefühl und die Selbstbestätigung, es geschafft zu haben, sich etwas leisten zu können. Natürlich kommt uns hierin der Kapitalismus mit seinem Überangebot von Waren und Dienstleistungen entgegen, in welchem es nicht um die Deckung, sondern um die Weckung von Bedürfnissen geht. Der wahre Wert des Geldes besteht übrigens darin, erschwingen zu können, viele Dinge nicht mehr zu tun.

Warum ekeln wir uns vor Insekten? (BB Radio, 2022)



Mit dem Frühling beginnt bald auch wieder die Zeit für Insektenfreunde. Gleichwohl reagieren viele Menschen auf sie mit Zurückhaltung. Unser Ekel ist jedoch nicht angeboren, sondern anerzogen und fußt auf der Angst, Insekten würden vermehrt Krankheiten übertragen. Außerdem irritiert ihre uns fremde, schnelle und unkontrollierbare Bewegungsart sowie die Tatsache, dass sie zumeist in Gruppen unterwegs sind. Nüchtern betrachtet, ist Ekel jedoch Unwissenheit. Denn ebenso gut könnten wir in den Insekten auch Tiere von Schönheit und faszinierender Eleganz sehen.

Warum fällt es uns schwer, anderen etwas zu gönnen? (BB Radio, 2022)



Die Schwierigkeit, anderen etwas zu gönnen, beruht auf einem Denkfehler: Der Erfolg eines anderen ist nämlich nicht gleichbedeutend mit dem eigenen Misserfolg. Dennoch machen wir immer wieder den Fehler, die Lebensfreude bei Mitmenschen assoziativ mit einer möglicherweise bei uns vorhandenen Lebensunzufriedenheit zu verknüpfen. Stattdessen kann uns der Gedanke helfen, dass etwas nicht zu wollen genauso gut ist wie es zu besitzen. Psychologischer Frieden bedeutet eigentlich nichts anderes als die Abwesenheit von Verlangen.

Warum reden alte Menschen gern über ihre Krankheiten? (BB Radio, 2022)



Unter alten Leuten teilt man außer Herzlichkeiten einander Krankheiten und deren Verlauf mit. In jungen Jahren sind wir mit Kräften am ganzen Körper noch reichlich beladen, aber später sind wir mit wuchtigen Kräften eher nicht mehr versehen. Die Anfälligkeit für Leiden wächst und Arztbesuche stellen regelmäßige Ereignishöhepunkte dar. Wenn wir dann mit Gleichaltrigen Bemerkungen über unsere Körperbeschaffenheit tauschen und eingehende Bemerkungen über unsere wechselnden Krankheitserscheinungen machen, können wir sicher sein, ein allgemeingültiges Gesprächsthema gefunden zu haben, bei dem jeder ein Wörtchen mitreden kann.

Warum sind kritische Kommentare im Netz verbreiteter als positive? (BB Radio, 2022)



Wir erleben, dass sich in den sozialen Medien die herabsetzende Kritik heiser schreit. Natürlich gab es feindselige Ablehnungen auch früher schon. Die sozialen Netze haben sie eigentlich nicht vermehrt, sondern nur sichtbarer gemacht. Dennoch ermuntert die Anonymität des Internets sowohl die Benutzer der linken wie der rechten Gehirnhemisphäre, ihrem eigenen Aufgewühltsein Luft zu machen. Sind wir nämlich mit etwas einverstanden, verhalten wir uns eher schweigend. Selten werden daher Kommentare im Internet so aufbereitet wie eine Weihnachtsgans, die allen schmecken muss.

Warum verwöhnen wir unsere Kinder? (BB Radio, 2022)



Durch Kinder gewinnt die eigene Existenz im positiven wie im negativen Sinne enorm an Komplexität. Dennoch hat sich unser Umgang mit ihnen gewandelt. In früheren Jahrhunderten war die zumindest teilweise einkalkulierte Arbeitskraft der Kinder eine Stütze der Familie. Wenn heute Babys an Licht kommen, so wird um sie sofort ein Zirkel der Schonung und Zärtlichkeit gezogen. Wir können es uns leisten, auf die Mitarbeit der Kinder im Haushalt oder gar auf dem Feld zu verzichten. Mitunter werden heutige Kinder ähnlich wie Geliebte gehalten. Es genügt uns beinahe, wenn sie in vornehmen Posen auf dem Sofa liegen.

Warum haben wir bei Krankmeldung ein schlechtes Gewissen? (BB Radio, 2022)



Es gibt eine gesunde Art krank zu sein. Hierzu gehört, dass uns einerseits dann Ratschläge von ärztlicher Umsicht auferlegt werden, für deren Verabsäumung wir uns nicht rüffeln lassen wollen. Andererseits bleiben wir auch im Krankheitsfall loyal gegenüber unseren Arbeitskollegen. Wir wissen nur zu gut, dass unser Ausfall die Arbeitslast der Anderen erhöht. Außerdem ist eine Krankmeldung mit dem Stigma mangelnder Leistungsfähigkeit belegt. Statt aller Arbeitsgeschäfte enthoben zu sein, entschließen wir uns dann manchmal zu schnell, unsere Erkrankung abklingen zu lassen und uns wieder in Arbeit zu setzen.

Warum führen Familienfeste oft zu Auseinandersetzungen? (BB Radio, 2022)



Feste bringen oft Unruhe in den Familienbetrieb. Denn wir sind nicht daran angepasst, stundenlang mit zahlreichen Familienmitgliedern auf engem Raum eingesperrt zu sein. Zu sehr unterscheiden sich unsere Anschauungs- und Lebensweisen voneinander. Sind wir dann zu langer Konversation gezwungen und wird dabei gar dem Alkohol zugesprochen, ist die Feierlichkeit rasch überwunden. Wo eben noch fester Boden war, zeigen sich schnell vermehrende Risse. Gottlob gibt es jedoch meistens ein oder mehrere Familienmitglieder, deren Versöhnungseifer die Familienmühle betreibt und vorübergehend befrieden kann.


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